Bericht DHd 2018 Köln „Kritik der digitalen Vernunft“, 26.2.-2.3. #dhd2018

Köln ist eine schöne Stadt! Und wenn die Jahrestagung des Vereins Digital Humanities im deutschsprachigen Raum dort stattfindet, ist sie noch schöner! Eine Woche lange stand die Kölner Universität im Zeichen des Themas „Kritik der Digitalen Vernunft„. Über 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der Schweiz, Österreich und Deutschland waren zusammengekommen. Viele ließen sich auch von der grassierenden Grippewelle nicht abhalten… und wurden mit einer insgesamt perfekt organisierten Tagung belohnt, die nicht nur bei der Teilnehmerzahl sondern auch im Abendprogramm neue Maßstäbe setzte. Aber dazu später.

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Der DHd Verein ist noch verhältnismäßig jung. Um so bemerkenswerter ist der stete Zuspruch, den die Digital Humanities bislang erhalten. Die Mitgliederzahl des Vereins ist inzwischen auf über 300 Personen gestiegen und es gibt eine Vielzahl von Arbeitsgruppen, die tatsächlich auch etwas arbeiten. In wiss. Vereinen ist das nicht immer selbstverständlich. Die Tagung begann am Montag Mittag mit Workshops. Am Dienstag abend begann mit einem Vortrag von Sybille Krämer (Berlin) das Hauptprogramm. Sie sprach über den „Stachel des Digitalenein Anreiz zur Selbstreflektion in den Geisteswissenschaften?“. Generalthema und Keynotes der Tagung waren nicht zufällig philosophisch angehaucht: Lokaler Organisator war Andreas Speer, seit 2004 Professor der Philosophie an der Universität zu Köln und Direktor des dortigen Thomas-Instituts. Tatkräftig unterstützt wurde er von Patrick Sahle und dem gesamten Team des CCeH. Auch die Abschlußkeynote am Freitagnachmittag von Michael Sperberg-McQueen, einem Urgestein der digitalen Geisteswissenschaften, stieß mit „Kritik der digitalen Vernunft“ in das selbe kantianische Horn. Dazwischen lagen drei ereignisreiche Tage, deren über 60 Vorträge sich in vier parallelen Sessions über die Zuhörer ergossen.

Man kann nur berichten, was man gehört und gesehen hat, also beschränke ich mich schon aus praktischen Gründen darauf. Verschweigen will ich aber auch nicht, was ich gefühlt habe (tagsüber, in den Hörsälen): nämlich Kälte! Nun wird es am Niederrhein bekanntlich nie wirklich kalt (ausser in dieser Woche eben), aber falls es zutreffen sollte, dass das Hörsaalgebäude tatsächlich nicht über eine Heizungsanlage verfügt, dann kann daran nur der Kölner Klüngel Schuld sein, denn ansonsten machten mir die Kölner insgesamt einen recht vernünftigen, ja lebensfrohen Eindruck. Unerklärlich hingegen bleibt die wohl absichtliche Verweigerung von Strom und Steckdosen bei den vorgeschalteten Workshops. Ich selber musste einen sehr spannenden (und leider etwas zu klein geplanten, da sehr nachgefragten) Workshop zu wikidata im Übungsteil abbrechen, da meinem inzwischen betagten Notebook der Saft ausging. Und es ging mir nicht alleine so! Am bemerkenswertesten war aber die Begründung, die uns im ersten Workshop am Montag „Suche und Visualisierung von Annotationen historischer Korpora mit ANNIS“ mit Carolin Odebrecht und KollegInnen mitgeteilt wurde: die Universität zu Köln wolle keine Stromanschlüsse zur Verfügung stellen, da dies den Stromverbrauch ungebührlich erhöhen würde…. Wenn die Univerwaltung tatsächlich so argumentierte, dann würde sich hier doch in einzigartiger Weise ein für die Region Niederrhein untypischer Geiz mit Unvernunft paaren (denn ökologische Argumente können wir wohl ausschließen). Der Tagungsleitung und dem Organisationsteam ist dieser Schildbürgerstreich nicht anzulasten – vielmehr liegt hier das Problem wie so häufig bei der Verwaltung der Universitäten, und zwar vermutlich (hoffentlich) in den unteren Etagen…

Nun zum Inhalt. Der dritte Workshop, den ich besuchte, war dem Thema „Research Software Engineering und Digital Humanities“ gewidmet. Mit über hundert TeilnehmerInnen war das schon eine größere Veranstaltung und es war sicher klug, sich für die Diskussionen in Untergruppen aufzuteilen. Erst kürzlich hat sich eine Gruppe fächerübergreifend zu diesem Thema gegründet: de-RSE.org, die von Stefan Janosch (MPI-CBG) vorgestellt wurde. Insgesamt ist eine Diskussion über die Professionalisierung  der Softwareentwicklung in den DH sehr zu begrüßen, eben weil dies nicht zur originären Ausbildung von GeisteswissenschaftlerInnen gehört. Bei den Vorträgen und Panels gab es wie immer Licht und Schatten, obwohl mir das Niveau insgesamt diesmal erfreulich hoch erschien. Ich wende mich mal dem überwiegenden Licht zu. Da sind zunächst die Tracks, die sich durch das Programm zogen und strukturierten: Sitzungen zu Visualisierung, Theorie der digitalen Geisteswissenschaften, Textmining, Sammlungsdigitalisierung, Digitale Literaturwissenschaft, Computer Vision, Digitale Rekonstruktion, Sentimentanalyse, Softwareentwicklung, Annotation, Semantische Analyse sowie Panels zu Historischen Grundwissenschaften, Sprachanalyse, Wissenschaftsorganisation und Forschungsdaten. Zusammen boten sie ein breites Bild der aktuellen Forschungslandschaft und ermöglichten, sich spezifischen Interessengebieten zuzuwenden. Besonders am Herzen lagen mir die Panels zu Forschungsdaten. Das eine von DARIAH/CLARIN , das andere von der AG Datenzentren ausgerichtet. Beide fanden nacheinander am Donnerstagnachmittag statt und waren gute besucht. DARIAH/CLARIN hatte sich als Thema „Gute Forschungsdaten, bessere Forschung: wie Forschung durch
Forschungsdatenmanagement  unterstützt wird“ gewählt und das Datenzentrumspanel, organisiert von Katrin Moeller (Halle-Wittenberg) stand ganz im Zeichen der Frage nach den Standards und ihrer Einbettung in die Fachwissenschaften „Die Summe geisteswissenschaftlicher Methoden? Fachspezifisches Datenmanagement als Voraussetzung zukunftsorientierten Forschens“. Im Zuge des NFDI Prozesses zur Schaffung einer Nationalen Forschungsdateninfrastruktur legen sich alle Beteiligten zurzeit mächtig ins Zeug, um Teil einer föderierten Struktur zu werden. Die Forschungsinfrastrukturen und Datenzentren zeigen sich dazu gut gerüstet.

Besonders spannend fand ich persönlich den Vortrag „Das neue ‚Gesetz zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft‘ und seine Auswirkungen für Digital Humanities“ am Donnerstag Vormittag. Just am 1.3. trat das neue Gesetz in Kraft und so war dieser Beitrag zum einen hochaktuell und zugleich sehr informativ.

Vielleicht hätte es gelohnt, etwas ausführlicher zu diskutieren, wie sich die Politik eine digitale Nutzung von Werken (keine Veröffentlichung!) für die eigene! wissenschaftliche Forschung im Umfang von bis zu 75% vorstellt. Sollen wir in Zukunft die letzten 25% eines Werkes einfach nicht mehr rezipieren? Oder vielleicht am Ende eines Textes nur noch Lore ipsum Seiten drucken, um diese unsinnige Bestimmung auszuhebeln? Insgesamt sind das Gesetz und die Wissenschaftsschranke sicher ein Schritt in die richtige Richtung, aber gut gemeint ist bekanntlich nicht immer ausreichend. So wird es jedenfalls nichts mit der exzellenten Forschung im internationalen Vergleich in Deutschland. Da schaffen wir maximal 75% Exzellenz!

„Data Models for Digital Editions: Complex XML versus Graph Structures“, so lautete ein Vortrag von Daniel Bruder und Simone Teufel, der ein wichtiges Problem in den DH adressierte, dem meiner Meinung nach zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. XML aus Auszeichnungssprache mit ihrem streng hierarchischen Baum wird in manchen Fällen der Komplexität geisteswissenschaftlicher Beschreibungstiefe nicht gerecht. Andere, z.B. Graph- bzw. RDF basierte Formen könnten langfristig besser geeignet sein, tiefe Annotation – vielleicht ja sogar über eine gemeinsame ontologische Basis(?) – zu repräsentieren. Posterslam und Postersession sind inzwischen etablierte Präsentationsformen auch in den Geisteswissenschaften. Ihnen war der Donnerstagnachmittag gewidmet, der mit einem Empfang schloss, bei dem man die Poster anschauen und diskutieren konnte. Kulturelles Highlight war aber sicher der für Mittwochabend angesetzte Fightclub, in dem vier prominente „KontrahentInnen“ (Henning Lobin, Heike Zinsmeister, Hubertus Kohle, Mareike König) mit Gedichten und coolen Sprüchen gegeneinander antraten und für eine gelungene Mischung aus Unterhaltung und Reflektion über das eigene Tun sorgten. Anschliessend wurde bis tief in die Nacht getanzt… Mehr dazu auf Twitter, immer unter dem Hashtag #dhd2018.

Bleibt der Blick in die Zukunft. Die nächste DHd  findet 2019 in Mainz und Frankfurt statt, also gar nicht so weit vom diesjährigen Austragungsort. Die Latte hängt hoch, aber die  nächsten Gastgeber sind gut gerüstet für diese Aufgabe und haben schon ein Boot organisiert, um die TeilnehmerInnen sicher und stilvoll von einem Ort an den anderen zu bringen….