Digitalisierung der Geschichtswissenschaften: Gewinner und Verlierer? #historikertag

Mit dem Abstand einer guten Woche wage ich mal eine kleine Rückschau auf unsere Sektion „Digitalisierung der Geschichtswissenschaften: Gewinner und Verlierer?“, die am 25.09.14 stattfand und, wie viele Veranstaltungen auf dem diesjährigen Historikertag, als google hangout Lifestream bei youtube gelandet sind. Live meint dabei wirklich live, d.h. man hat die Kamera am Anfang eingestellt und am Ende wieder abgestellt. Zwischendrin gibt es zwar ein Pausenbild, aber der Ton lief die gesamte Zeit über weiter. Das führt teilweise zu lustigen Mitschnitten von Kommentaren auf dem Podium, die so sicher nicht intendiert waren. Ein Tipp fürs nächste Mal – besser also zwischendurch auch den Ton abschalten.
Die folgenden Ergänzungen und Kommentare erstrecken sich nur auf den zweiten Teil der Sektion, der Podiumsdiskussion „Methoden und Paradigmen der Digitalen
Geschichtswissenschaften und Digital Humanities“, die ich zusammen mit Heiko Weber (Göttingen) vorbereitet und durchgeführt habe. Dem knappen verbleibenden Zeitbudget fielen leider die Selbstverortungen der Diskussionsteilnehmerinnen und Teilnehmer zum Opfer, weshalb diese hier unten nachgereicht werden. Desweiteren erlaube ich mir hier den Kommentar, dass etwas mehr Kontroverse vor allem im ersten Teil der Podiumsdiskussion nicht geschadet hätte. Ich erinnere an das Rahmenthema des Historikertags: Gibt es bei der aktuellen Situation der Digitalisierung der Geschichtswissenschaft zwischen Digital Humanities einerseits und Digitaler Geschichtswissenschaft andererseits keine Gewinner und Verlierer (oder doch zumindest Ängste vor Gewinn und Verlust – von Einfluß, Macht und Fördergeldern)? Charlotte Schubert war als einzige auf dem Podium bereit, sich offen zu diesen Verlustängsten zu bekennen. War das Thema am Ende zu heiss, als das man öffentlich darüber Reden konnte oder wollte? Teilnehmer aus dem Publikum waren jedenfalls weniger zurückhaltend, sprachen sogar von der „tödlichen Umarmung“ der Geschichtswissenschaft durch die Digital Humanities an einigen Standorten. Wäre es da nicht Zeit für eine breite Diskussion in der Community – oder auch Zunft, wenn man das lieber mag – über mögliche Chancen und Gefahren, aber auch Ängste einer Digitalisierung der Geschichtswissenschaften? Digitalisierung von aussen oder von innnen???
Soviel sei hier (Selbst-)kritisch angemerkt. Am Ende gab es dann eine Mahnung von Manfred Thaller, die Digitalisierung der Geschichtswissenschaft durchaus wieder stärker „visionär“ zu betreiben und zu aktiv zu gestalten. Ein Schlußwort, dem ich mich als Moderator nur anschliessen konnte und kann.

Zum Video (Podiumsdiskussion etwa ab 2:35 h):

Einführung zur Podiumsdiskussion und Vorstellung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer (mit Selbstverortungen)

„Methoden und Paradigmen der Digitalen Geschichtswissenschaften und Digital Humanities”

Herzlich willkommen zu unserer Podiumsdiskussion“ Methoden und Paradigmen der Digitalen Geschichtswissenschaften und Digital Humanities“, dem zweiten Teil der Sektion „Digitalisierung der Geschichtswissenschaften: Gewinner und Verlierer?“ Wir wollen in den nächsten 90 Minuten auf dem Podium und mit Ihnen diskutieren, was es mit diesen beiden Begriffen „Digitale Geschichtswissenschaft“ und „Digital Humanities“ auf sich haben könnte: Wir wollen gewissermaßen einen Blick hinter die Schlagworte und auf den Prozess der Digitalisierung der Geschichtswissenschaften (Verfahren, Theorien und Methoden) werfen.
Die methodischen, konzeptionellen und empirischen Forschungsdesigns und Paradigmen der sog. „Digital Humanities“ sind in den Geschichtswissenschaften in den vergangenen Jahren nicht unwidersprochen geblieben. Der Begriff der „Digital Humanities“ selbst, der durch das 2004 erschiene Buch „A Companion to Digital Humanities“, hg. von Susan Schreibman, Ray Siemens und John Unsworth, geprägt wurde, erscheint noch fließend und im Prozeß der Definition begriffen. Auf der anderen Seite blicken wir auf eine viele Jahrzehnte zurückreichende Tradition der Verwendung digitaler Methoden in den geisteswissenschaftlichen Fachdisziplinen, allen voran den Geschichtswissenschaften, zurück. Das Podium wird deshalb auch Fragen nach der eigenen digitalen tradition der Geschichtswissenschaften nachgehen und diskutieren, inwieweit diese auch unabhängig von computerphilologischen und computerlinguistischen Ansätzen entstanden ist. Es wird auch zu erörtern sein, wie zentral die Editionswissenschaften für die zukünftigen digitale Geschichtswissenschaft bzw. die historischen Digital Humanities sind? Zentral erscheint uns hierbei: Wo treffen heute Digitale Geschichtswissenschaft und Digital Humanities aufeinander und welche Schnittmenge gibt es?
Angelehnt an das Rahmenthema des Historikertages wollen wir zudem nach möglichen Gewinnern und Verlierern in diesem anhaltenden Diskussions- und Findungsprozess fragen und dabei auch die spezifischen Probleme der Professionalisierung dieser (neuen) historischen „Hilfs“-Wissenschaft – oder handelt es sich doch eher um eine eigenständige Disziplin? – thematisieren. Wir erhoffen uns davon eine Klärung der Begrifflichkeiten sowie die Offenlegung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Digital Humanities und Digitaler Geschichtswissenschaft sowie auch Informationen über den aktuellen Stand und die Integration digitaler Methoden in den Geschichtswissenschaften – letzteres insbesondere auch über die Einbindung des Publikums in die Diskussion. Dabei sollen dann die Themen des ersten Blocks dieser Sektion ebenfalls aufgegriffen bzw. diskutiert und mit Blick auf den fachinternen Diskurs neue Perspektiven auf eine dynamisch und zugleich kohärente Weiterentwicklung der Digitalisierung der Geschichtswissenschaften aufgezeigt werden.
Wir haben auf dem Podium 4 ausgewiesene Expertinnen und Experten der Digitalen Geschichtswissenschaft und der Digital Humanities, die uns im Vorfeld kurze oder auch manchmal längere Statements zugesendet haben, mit denen sie sich selbst in dieser Diskussion verorten. Wir werden die Diskussionsteilnehmer nun kurz jeweils mit diesen Statements vorstellen und dann in die erste Diskussionsrunde gehen. Sie werden gleich sehen, dass wir hier ein deutliches Übergewicht der Alten Geschichte auf dem Podium versammelt haben: drei der vier Teilnehmer sind dieser Epoche zuzuordnen. Dies ist keine Absicht, aber vielleicht symptomatisch für die Rezeption digitaler Methoden in unserem Fach – der Geschichtswissenschaft – und leider auch Folge der Absage von Frau Gersmann aus Köln geschuldet, die aus wichtigen Termingründen heute leider nicht wie geplant dabei sein kann. Für Sie hat sich freundlicherweise Herr Spickermann aus Graz bereit erklärt, mitzudiskutieren.
Wir beginnen nun mit der Vorstellung und fangen natürlich mit der Dame in der Runde an.

Frau Prof. Charlotte Schubert studierte Alte Geschichte, Klassische Archäologie und Germanistik in Bonn, wo sie 1980 promoviert wurde. Ihre Habilitation für Medizingeschichte erfolgte 1987 ebenfalls in Bonn. Seit 1993 hat sie den Lehrstuhl für Alte Geschichte an der Universität Leipzig inne. Zusammen mit Simone Lässig ist sie Sprecherin der AG „Digitale Geschichtswissenschaft“ im Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands. Für Frau Schubert „ist der Bereich der Digital Humanities (pars pro toto für alle Begriffe) für diejenigen, die sich damit befassen, eine willkommene Erweiterung des Methodenspektrums des eigenen Fachs, die – zumindest ist das ihre Erfahrung aus eAQUA – bei klar definierten Forschungsfragen mit Hilfe der neuen Möglichkeiten (z. B. Textmining – distant reading/ oder xml-Technologien für digitale Editionen – close reading) zu neuen Wegen und Ergebnissen führen kann. Die spannende Frage stellt sich für sie aber nun, wie es weitergeht, insb. im Hinblick auf die Infrastrukturentwicklung – auch und gerade mit dem erweiterten Infrastrukturbegriff, siehe die Empfehlungen des Wissenschaftsrats. Das Problem ist nach ihrer Ansicht, wie sich diese Entwicklung auf die Fachdisziplinen auswirken wird. Soll ein neues Fach etabliert werden („Digital Humanities“ o. ä.) oder sollen die Geisteswissenschaften ihr traditionell-hermeneutisch-kulturalistisches Methodenspektrum um diese neuen, stark von der Informationswissenschaft her geprägten Methoden erweitern? Auf die Digital Humanities übertragen, wäre dies zuerst einmal die Frage nach den Inhalten und Methoden Aus diesem Grund meint Sie, dass die Digital Humanities als Methode in die Grundlagenausbildung (Propädeutik) der Geistes- und Sozialwissenschaften integriert werden müssen. Die Einrichtung eigener, neuer Studiengänge als Digital Humanities-Fach hält Sie demgegenüber für weniger sinnvoll, da damit gar nicht die nötige Breitenwirkung erreicht werden kann und auch die inhaltliche Beschreibung vermutlich an jedem Ort anders aussehen, d. h. nahe an die Beliebigkeit rücken würde. Nach ihrer Meinung ist es aber dringend nötig, dass sich die Fachverbände hierzu positionieren und dass die Integration in die Lehramtsausbildung thematisiert wird. Nur über den Kreislauf Lehrerausbildung und Schülerausbildung ist eine echte, breitenwirksame Nachhaltigkeit zu erreichen.“

Herr Prof. Manfred Thaller: studierte Geschichte und Altorientalistik in Graz und wurde dort 1975 mit einer Arbeit zum Europäischen Amerikabild zwischen 1840 und 1941 promoviert. Nach einer Zeit in Wien wechselte er 1978 an das MPI für Geschichte in Göttingen, wo er sich mit der Planung und Implementierung eines Datenbanksystems für die Geschichte mit dem Namen kleio beschäftigte. Seit dem Jahr 2000 ist er Professor für Historisch-Kulturwissenschaftliche Informationsverarbeitung an der Univ. Köln auf einem eigens für ihn geschaffenen Lehrstuhl. Er gehört damit zum Urgestein „digitaler Geschichtswissenschaft“ in Deutschland, beschreibt seinen Standpunkt aber selber so:
„Das Geburtsjahr der interdisziplinären Forschung zwischen den Geisteswissenschaften und der Informatik ist das Jahr 1949. Wäre sie eine Person, sie würde 2014 emeritiert. Trotzdem wirkt sie in ihrer Inkarnation als „Digital Humanities“ erstaunlich jung. Leider ist diese ewige Jugend jedoch nicht auf ihre kontinuierliche Weiterentwicklung zurück zu führen, sondern auf eine Abfolge von Wellen, die das Erscheinen der jeweils nächsten als Neugeburt erscheinen lassen. Manfred Thaller glaubt von allen diesen Wellen getragen worden zu sein, weil er davon ausgeht, dass die Unterstützung der historischen Disziplinen durch Techniken der Informatik eine Methodik erfordert, die der Historizität der in diesen Disziplinen per Definition heranzuziehenden (Informations)quellen gerecht wird. Er ist daher völlig davon überzeugt, dass die Anwendung der sich herausbildenden Vorgehensweisen der Digital Humanities sich weder in der Übernahme linguistischer noch quantitativer Verfahren erschöpfen kann. Und ganz definitiv auch nicht in der Übernahme von als Methoden missverstandenen Techniken, die breite Bereiche der heutigen Digital Humanities prägen.“

Herr Prof. Wolfgang Spickermann: studierte Geschichte, katholische Theologie und Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum und Alte Geschichte an der Universität Osnabrück. 1991 erfolgte seine Promotion, 2002 habilitierte er sich dort. 2009 bis 2013 hatte er die Professur für Religionsgeschichte des Mittelmeerraumes in Erfurt inne, seit Oktober 2013 ist er Professor für alte Geschichte an der Universität Graz. Herr Spickermann ist Gründungs- und seit vielen Jahren Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Geschichte und EDV e.V. Er ordnet sich selber grundsätzlich der Digitalen Geschichtswissenschaft zu, wobei das Erfurter Interdisciplinary Center of eHumanities (ICE), dessen Sprecher er ist, gerade auch Methoden der Geowissenschaften und Netzwerkanalyse mit Datenbanken und Textanalyse zusammen bringe. So sieht er sich denn auch in einer gewissen Brückenfunktion, wobei er sich seit einigen Jahren gegen das Primat der Computerlinguistik engagiert, um so neue und für die Geisteswissenschaften und insbesondere die Geschichtswissenschaften bessere Wege aufzuzeigen. Interessant findet er, dass es heute immer noch Diskussionen gibt, die schon bei der Gründung der Arbeitsgemeinschaft Geschichte und EDV e.V. 1993 geführt wurden. Auch müsste seiner Auffassung nach jetzt eine Debatte darüber entstehen werden, was DH denn überhaupt sein soll – gerade vor dem Hintergrund unserer auf Dilthey und Gadamer beruhenden geisteswissenschaftlichen Hermeneutik. Dieses Thema stehe auf dem Programm der kommenden DH-Tagung in Februar 2015 in Graz. Und er outet sich auch gleich selbst. Wolfgang Spickermann sagt: Wir reden hier immer (nach mind. 20ig Jahren) noch über Methoden, nicht über ein neues Fach.

Herr Prof. Gregory Crane ist passionierter Philologe und ist als solcher in klassischer Philologie an der Universität Harvard promoviert worden. Dort hat er anschließend als Assistenzprofessor gearbeitet und war seit 1985 in die Planung des Perseus Projekts eingebunden, dessen Chefeditor er inzwischen ist. Er hat eine Professur an der TUFTS University in Boston. Unter anderem hat er 2010 den Google Digital Humanities Award für seine Arbeit in diesem Bereich erhalten. Seit 2012 ist er Humboldt Professor in Leipzig und hat dort den Lehrstuhl für Digital Humanities inne. Er meint zur Frage des Verhältnisses zwischen etablierten Fachdisziplinen und Digital Humanities folgendes:
„I don’t know if Digital Humanities can claim to have emerged as a distinct field but Digital Humanities provides two critical functions. First, it provides a new and, in my experience, unprecedented space of encounter both across disciplines within the Humanities and — in Germany most of all — between humanists and computer scientists. […] No single Humanities discipline dominates the Digital Humanities and this neutral space fosters far more cross-disciplinary exchange than I have seen (however much we have spoken of interdisciplinary work over recent decades). Second, departments of Digital Humanities offer a space where students can try out ideas and explore intellectual pathways that are not feasible in traditional, disciplinary programs.

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