Gerade sendet Martin Liebetruth von der SUB einen Hinweis auf den heute in der FAZ erschienenen Artikel von Thomas Thiel über die DH2012 Tagung in Hamburg. Ein willkommener Anlaß, selber ein wenig zu reflektieren und die Eindrücke Revue passieren zu lassen. Mir gefällt der Artikel gut, ich möchte eigentlich sogar uneingeschränkt zustimmen. Besonders am Herzen liegt mir die folgende Passage, die eher kritische Töne anschlägt:
„Wollen die Digital Humanities keine weitere Art der Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften sein, müssen sie den Dialog zu den „traditionellen“ Kollegen viel stärker suchen.“
Eben dieser Dialog mit den „traditionell“ arbeitenden Kollegen kommt mir, als „gelernter“ Historiker, oft zu kurz. So sehr auch ich mir manchmal das „Ende der Einzelforschung“, so eine mit Fragezeichen versehene Zwischenüberschrift des Artikels, wünsche – wir werden uns damit noch etwas gedulden müssen, wenn ganze Fächer nicht neu erfunden bzw. restrukturiert werden sollen. Es scheint mir geradezu wesenhaft für einige Disziplinen, dass eine Person sich mit einer für sie wichtigen Frage beschäftigt und eine Meinung dazu bildet, die dann von anderen geteilt oder kritisch verworfen werden kann. Diesen Meinungsbildungsprozeß zu kollektivieren, dazu fehlen uns heute oft noch die (telepathischen) Mittel. Am Ende könnte ein solch kollektiver Forschungsprozeß auch zu ähnlichen Problemen wie in den Naturwissenschaften führen, wo Forschungsleistungen in Autorenkollektiven peinlich genau in Nennungsreihenfolgen bei Artikelpublikationen abgebildet werden müssen. Und über allem schwebt dann, zurecht oder zu unrecht, der betreuende Lehrstuhlinhaber… Da haben wir es, mit der obligatorischen Nennung im Vorwort oder in der Fußnote, bislang noch leichter. Ein wenig Individualismus scheint mir also in den Geisteswissenschaften durchaus angebracht zu sein, zumal sich viele Probleme, die dort gewälzt werden, am Ende kaum empirisch fassen lassen und am Ende vielleicht wenig mehr als „Mißverständnisse“ der intradisziplinären Kommunikation oder letzlich – etwas poetischer – „Stufen auf der Leiter der (Selbst)Erkenntnis“ sind.
Analog zu Thiel würde ich auch mein Fazit formulieren. Er schreibt:
„In Feldern wie der Sprachdokumentation beweisen die computergestützten Methoden ihren Nutzen, auch in den Sozialwissenschaften oder der Begriffsgeschichte kann man sich von den quantitativen Methoden einiges versprechen. Bei der Analyse von ästhetischen Phänomenen wurden die Grenzen der Statistik dagegen schnell deutlich. Ein Beispiel gab ein Vortrag, der auf der Basis technisch gestützter Wortfrequenzanalysen den Stil von Charles Dickens untersuchte und zu dem Ergebnis kam, es gebe hier viele Figuren „mit den Händen in den Hosentaschen“. Dass im Herzen der digitalen Geisteswissenschaften noch immer das Sinnverstehen steht, wie Jan Christoph Meister sagte, wer hätte es hier noch vermutet.“
Ich hatte ein ähnliches Erlebnis mit dem Vortrag über die Möglichkeiten der 3D Visualisierung von Gedichten (http://lecture2go.uni-hamburg.de/konferenzen/-/k/13977). Es zeugt von Empathie, wenn man Texten mit zweidimensionalen Darstellungen keine Gewalt mehr antun möchte, aber hat es irgendeinen heuristischen Wert, dreidimensionale Modelle von Texten anzufertigen, die letzlich auf der Reihenfolge von Buchstaben im Alphabet beruhen? Das mag hübsch aussehen, aber wo bleibt die Message des Textes und welchen praktischen Nutzen könnte ein solches Modell haben, das frei jeder Semantik agiert?
Unterm Strich bleibt bei mir der Eindruck spannender, stimulierender und manchmal auf verwirrender Vorträge und Präsentationen, die in freundlich entspannter Athmosphäre zu einer Vielzahl von Pausengesprächen führten, die sich am Ende als mindestens ebenso anregend wie die Tagungsbeiträge selber herausgestellt haben. Die nächste DH-Tagung 2013 findet in Lincoln (Nebraska) statt, ein Ort, den ich erst mal über google maps verorten mußte, denn in Nebraska war ich bislang noch nie. „In the middle of nowhere“, sagt man dazu wohl. Ob es mich nächstes Jahr dorthin verschlagen wird, kann ich noch nicht mit Bestimmtheit sagen, aber ausschließen möchte ich es aufgrund der Erfahrungen in Hamburg keineswegs. Es ist eine nette Community mit einem spannenden Thema, das hoffentlich noch einige Jahre die Aufmerksamkeit beanspruchen kann, die ihm momentan zuteil wird.
JW
PS: Inzwischen sind sämtliche Videos und Abstracts der auf der Tagung gehaltenen Vorträge online. Und hier gibt es auch einen Pressespiegel zu der Tagung.