Der von Norbert Schappacher (Strassburg), Moritz Epple (Frankfurt) und Helmut Rohlfing (Göttingen) organisierte Workshop entstand aus einer Initiative der Kommission für Mathematikernachlässe der Göttinger Akademie der Wissenschaften. Vier Projekte wurden an zwei Tagen vorgestellt und intensiv diskutiert: Das Newton Projekt an der Univ. von Sussex, Blumenbach-online aus Göttingen, das Projekt ENCCRE zur D’Alembert Edition des Dictionaire raisonné aus Frankreich und die Arnold Sommerfeld Edition an der LMU München. Durch diese großzügige Zeitplanung war es möglich, den Workshop wirklich interaktiv mit dem (zahlreich vorhandenen) Publikum durchzuführen und die einzelnen Projekte intensiv zu diskutieren. Entsprechend lebhaft fiel auch die Schlußdiskussion aus, die Dirk Wintergrün vom MPI für Wissenschaftsgeschichte einleitete. Es ist geplant, die Folien der Vorträge online zu stellen. Da dies aber vermutlich noch etwas dauern wird, möchte ich im Folgenden schon jetzt (knapp) meine Eindrücke vor allem hinsichtlich der Schlussdiskussion und den Ergebnissen der Tagung formulieren.
Übergreifend wurde die Sorge artikuliert, dass die digitalen Editionsprojekte (im speziellen und allgemeinen) nicht langfristig für die Forschung zur Verfügung stehen könnten. Dies wurde vor allem mit technischen (weiter-)Entwicklungen begründet, die eine ständige Pflege der Edition voraussetzt. Lösungen wurden vor allem in der institutionellen Anbindungen von Projekten gesehen sowie der Bereitstellung der Daten über Geisteswissenschaftliche Datenzentren (z.B. DCH in Köln und HDC in Göttingen/Berlin). Trotzdem kreiste die Diskussion in weiten Teilen um die Frage, wie eine längerfristige Verfügbarkeit am ehesten zu erreichen sein. Konsens fand die Formel „je einfacher desto besser“, aber schon bei der Frage, ob sich dies nun auf das User Interface oder auch auf die dahinter stehende Technik beziehen sollte, schieden sich die Geister wieder. Zeitgemäße Suchindizes, ein zentraler Vorteil digitaler Edition im Vergleich zu ihren analogen Pendants, greifen auf eine Vielzahl von Technologien zurück, die andauernder Pflege bedürfen. Verschiedene Sichten auf den Text bedürfen in der Regel Transformationen, die im Falle von XML sicher als technisch relativ robust bezeichnet werden können. Trotzdem dürfte es sich als schwierig erweisen, anspruchsvolle und vor allem optisch ansprechende Editionen längerfristig zur Verfügung zu stellen, zumal die notwendige Dokumentation sowie die zum Verständnis der Datenbanklogik notwendigen Fachkenntnisse der Editoren oder technischen Betreuer natürlich endlich ist, ganz abgesehen einmal von DFG geförderten Projekten, bei denen zwar heute eine institutionelle Anbindung nachgewiesen werden muss, deren Belastbarkeit im Einzelfall aber sicher genauer zu betrachten wäre. Die Problematik von „Altprojekten“ ist dabei erst einmal außen vor. Zwar macht das Beispiel der Arnold Sommerfeld Edition, die an der LMU in München am Lehrstuhl für Geschichte der Naturwissenschaften gehostet wird und seit Ende der 90er Jahre verfügbar ist, etwas Mut, allerdings kommen hier die schon erwähnten Abstriche bei der Benutzerfreundlichkeit bzw. der Benutzbarkeit überhaupt voll zum tragen. Eine Migration in ein Datenzentrum würde aber auch Auswirkungen auf das zweite Kardinalproblem der digitalen Editionen, der Referenzierbarkeit (als Ganzes und in Teilen) und der Zitierbarkeit, haben. Die existierenden Lösungen (z.B. URN) werden bislang kaum angewendet, vielleicht auch weil die parallele Existenz verschiedener Identifiersysteme selber noch nicht wirklich vertrauenserweckend ist.
Zentral für eine informationstechnologisches Angebot ist und bleibt die konsequente Verwendung von Standards. Nach der einfachen Regel „je weniger unterschiedliche Standards desto mehr Effizienz bei der Erstellung von Pflege der Editionen“ könnte man im Rahmen der Forschungsdatenzzentren versuchen, den Editionen einen dauerhaften Ort zu verschaffen. Ob virtuelle Maschinen, die versuchen den letzten Bearbeitungsstand der Edition im Sinne eines Snapshot einzufangen und zu konservieren dabei behilflich sein könnten, wurde kontrovers gesehen. Natürlich verlagert sich die Problematik der Softwarepflege nur eine Schicht nach innen. Der große Vorteil eines solches Ansatzes wäre es aber, die Editionen physisch an einem Ort vorliegen zu haben und kuratieren zu können. Außerdem hätten wir dann digitale Objekte, die man ähnlich wie gedruckte Bücher im Rahmen digitaler Bibliotheken behandeln und in die vorhandenen Nachweissysteme einbinden könnte. Die Buchindustrie hat bislang leider kein Interesse an interaktiven Ebook-Formaten gezeigt. Bei der konsequenten Bereitstellung der Daten als Linked Data wäre zwar die Frage der Zugänglichkeit gelöst, aber die digitalen Editionen wären ihrer Funktionslogiken beraubt und würden auf einfache XML-Strukturen ohne das entsprechende Rendering zurückfallen. Der TEI Standard hat hier bekanntlich bislang nicht zur einer Lösung sondern vielmehr zu einer Verschärfung des Problems geführt. Gäbe es eine allgemeingültige Auszeichnungspraxis – wie einfach wäre der Aufbau eines Repositoriums digitaler Editionen…
Mehrfach wurde in der Diskussion die unterschiedliche Perspektive von Nutzer und Editor angesprochen. Bei den Projektvorstellungen wurde deutlich, wie weit die Vorstellungen hier auseinandergehen. Im Newton-Projekt war immer der größtmögliche Outreach geplant. Blumenbach-online konzipiert seine Edition der Schriften und Sammlungen Blumenbachs jedoch eher für ein wissenschaftshistorisches Fachpublikum, während ENCCRE ebenfalls auf eine breite Rezeption setzt. Ich meine, man sollte bei digitalen Editionen eher mit einem heterogenen Publikum rechnen, denn das Medium Internet bringt einfach ein sehr breites Rezeptionspotential mit sich. Jedenfalls schadet eine didaktisch aufbereitete Präsentation von Autor und Text sicher in keinem denkbaren Nutzungsszenario.
Der außerordentlich gut besuchte Workshop erlaubte durch sein Format und die gehaltvollen Projektpräsentationen einen intensiven Austausch der Wissenschaftshistorikerinnen und -Historiker untereinander, aber auch mit Informatikern und Bibliothekaren. Digitale Editionen sind und bleiben eine besondere Herausforderung und müssen ihr Verhältnis zur gedruckten Edition in Zukunft noch weiter schärfen und vielleicht auch Teilaspekte stärker integrieren, um die Vorteile beider Medienformen optimal zu bündeln.
Donnerstag, 8. January 2015
14:00 – 14:30 Opening by the organizers
14:30 – 16:10 The Newton Project, presented by Robert Iliffe, Michael Hawkins, Cornelis J. Schilt
16:40 – 18:20 Blumenbach-online, presented by Claudia Kroke, Wolfgang Böker, Alexander Gehler
Friday, 9 January 2015
09:00 – 10:40 ENCCRE and the D’Alembert Edition, presented by Irène Passeron, Alxandre Guilbaud, Vincent Barrelon
11:05 – 12:45 The Sommerfeld Edition, presented by Michael Eckert, Karl Märker
14:00 – 16:00 Final discussion opened by Dirk Wintergrün (Head IT group, MPIWG, Berlin)