Die Annalen von Clonmacnoise
Bei der Abfassung der Arbeit ging ich davon aus, dass es sich bei den Annalen von Clonmacnosie um ein aus dem gleichnamigen Kloster stammenden Annalenwerk des frühen bzw. hohen Mittelalters handele. Dem ist jedoch nicht so. Vor kurzem stellte ich bei der Vorbereitung eines Vortrag fest, dass es sich um vielmehr um einen spätmittelalterlichen irischen Text handelt, der mit dem Jahr 1408 endet und die Menschheitsgeschichte ausgehend von Adam und Eva mit Fokus auf Irland und die Gebiete auf beiden Seiten des Flusses Shannon im Annalenstil mit Einträgen für jedes Jahr aufzählt. Doch handelt es sich eben nicht um Eintraege in zeitlicher Naehe zum Geschehen, sondern um eine spaetmittelalterliche Kompilation. Gerade bei der fraglichen Stelle zum Herrenrecht der ersten Nacht scheint es sich zudem um eine Beifuegung aus dem 15. Jahrhundert zu handeln. Dafuer spricht der topische Stil der Stelle. Auch der Zusammenhang mit der Mitgift der Frau (bestowinge), der in dem Text hergestellt wird, spricht für eine solche späte Datierung. Der Quellenwert fuer das frühe und hohe Mittelater dieser Annalen scheint aus den genannten Gründen sehr gering zu sein. Somit gibt es keine Erwähnung des Herrenrechts der ersten Nacht aus dem frühen oder hohen Mittelalter – das erste Mal taucht der Topos in nachantiker Zeit ca. 1250 im Lied der Bauern von Verson auf.
Die entsprechenden Stellen in meinen Publikationen sind daher zu korrigieren:
S. 27: Es ist von einer merkwürdigen Ironie, daß auch in den spätmittelalterlichen Annalen von Clonmacnoise Ähnliches über die im frühen neunten Jahrhundert in das Land einfallenden und plündernden Wikinger behauptet wird.
S. 71: Andere Sagen aus späterer Zeit verwenden das Herrenrecht als Zeichen von Tyrannei und Despotismus. In diesem Zusammenhang taucht es auch schon in einer frühmittelalterlichen irischen Schriftquelle aus klerikalem Kontext auf. In einer Liste von sexuellen und anderen Mißbräuchen, die den Wikingern im Jahre 830 in den Annalen von Clonmacnoise zugeschrieben wurden, findet sich auch folgende, leider nicht ganz vollständig erhaltene, Anschuldigung:
Ihr Anführer soll die Gunst jeder Frau im Königreich in der ersten Nacht nach ihrer Hochzeit haben, also bevor ihr eigner Ehemann fleischlichen Verkehr mit ihr hat, zu wem es ihm ge-fällt oder sie zu behalten … (unleserliches Seitenende) zu ihm bei Nacht, um seine Lust zu befriedigen.
Dieser Text schließt die große Lücke, die zwischen der Erwähnung des Herren-rechts in der spätantiken Literatur und dem Wiederauftreten des Topos in der spätmittelalterlichen Literatur besteht. Ein Fortleben der Antike ist hier, ganz im Sinne Henri PIRENNEs, deutlich zu beobachten. Im Kontext der schon beschriebenen Verwendungen des Herrenrechts in der antiken Literatur erkennen wir in dieser Anschuldigung jedoch nicht einen Hinweis auf tatsächliche Miß-bräuche, sondern eher ein weiteres Beispiel für den fortgesetzten Einsatz dieses Stereotyps in der Literatur seit Anbeginn der Schriftverwendung.
S. 331: Das frühe Mittelalter schweigt, bis auf eine Ausnahme, zum Thema des Her-renrechts der ersten Nacht. Nur in den Annalen des irischen Klosters Clon-macnoisie findet sich aus der Zeit um 800 ein Hinweis, daß der antike Topos auch in dieser Zeit in Europa noch bekannt war. Der Schreiber beschuldigte darin die Wikinger einer solchen Tyrannei und bezog damit das Herrenrecht auf die Probleme seiner Zeit. Dieser »Gebrauch« des Herrenrechts der ersten Nacht ist auch ein Merkmal der Verwendung des jus primae noctis in der spätmittel-alterlichen Literatur und Dichtung.
Literatur: Murphy, Denis; The Annals of Clonmacnosie, beeing Annals of Ireland from the earliest period to A.D. 1408, translated to English A.D. 1627 by Conell Mageoghagan, Dublin 1896, S. 133f.
Herr Hendrik Mäkeler wies mich vor kurzem auf folgende Stelle bei Nicolas Oresme hin, die man als Anspielung auf eine mündliche Tradition zum Herrenrecht der ersten Nacht im 14. Jahrhundert interpretieren kann: „Sicut igitur communitas non potest concedere principi quod ipse habeat auctoritatem abutendi uxoribus civium quibuscumque voluerit, ita non potest ei dare tale privilegium monetarum quo ipse non posset nisi male uti, exigendo tale lucrum supra mutationem earum“ „Wie es aber die Gesellschaft dem Fürsten nicht gestatten kann, kraft seiner Stellung Gattinnen der Bürger für sich in Anspruch zu nehmen (eigentlich: wie auch immer er möchte zu mißbrauchen/ Anm. JW.), so vermag sie ihm auch nicht ein Geldvorrecht zu gewähren, das nur schlechtem Gebrauch dient, indem es Gewinn aus Geldabwertungen macht.“
Nicolas Oresme: De mutatione monetarum tractatus – Traktat über Geldabwertungen, übers. v. Martin Burckhardt, Berlin: Kulturverlag Kadmos, 1999, S. 60 f. [ergänzt am 31.10.2002]
Reviews / Rezensionen:
- M. Borgolte, in: FAZ vom 2.11.1999
- B. Schmidt, in: Uster und Umgebung vom 13.1.2000
- Neue Zürcher Zeitung ZÜRICH UND REGION Donnerstag, 27.04.2000 Nr.98/48
- Tilmann Walter, in: Zeitschrift für Sexualforschung, 13. Jg., 2000, Heft 2, S. 172-174.
- Eva Lacour, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung, Bd. 118, 2001.
- Maren Lorenz, (Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur), in: PERFORM 2 (2001), Nr. 3 [01.05.2001].
- Klaus van Eickels, in: ZHF, Bd. 28, 2001, S. 445-447.
- Daniela Müller, in: INTAMS review 7 2001, S. 244-246.